Galmbach und Ferdinandsdorf – zwei verlassene Dörfer im Odenwald
Es heißt, der unter dem Namen Hölzerlips bekannt gewordene Odenwälder Räuber habe hier zeitweise seinen Unterschlupf gehabt. Auch zwei Ortschaften weiter sei Georg Philipp Lang (1770 – 1812), wie der im Naussauischen geborene und in Heidelberg hingerichtete Gesetzeslose mit bürgerlichem Namen hieß, mit seiner Bande untergetaucht. Glaubhafte Nachweise sind spärlich – was auch auf die beiden Dörfer Galmbach und Ferdinandsdorf zutrifft, nicht zuletzt deswegen, weil diese im Jahre 1836 beziehungsweise 1851 aufgegeben wurden.
Beide zählen zu den verlassenen oder gar gänzlich vom Erdboden verschwundenen Dörfern – Folgen erbärmlicher Armut und nicht immer freiwilliger Umsiedlung oder Auswanderung seiner Bewohner. Wer sich auf die Spuren der Vergangenheit begeben möchte, greift am besten auf die Wanderkarten 13 oder 19 des Hessischen Landesamts für Bodenmanagement und Geoinformation zurück. Ausgangspunkt ist das im badisch-hessischen Grenzraum, unweit von Eberbach am Neckar, idyllisch gelegene Höhendorf Reisenbach. Knorrige Eichen und bisweilen tonnenschwere Sandsteinformationen säumen die vielen Wanderwege in dem dicht bewaldeten Gebiet, das viele Ausflügler anlockt. Beliebtes Ziel ist der Reisenbacher Grund, eine auf 250 Meter vorgelagerte Ansiedlung mit wenigen Bauernhöfen und dem beliebten Landgasthof „Zum Grund“, in dem sich Tagesgäste mit auf Wellness stehenden Kurzurlaubern die Klinke in die Hand geben. Um unserem ersten Ziel näher zu kommen, fahren wir zunächst auf der Kreisstraße 3921 die Anhöhe hinauf nach Reisenbach (Gemeinde Mudau im Neckar-Odenwaldkreis). Der 581 Meter hoch gelegene Fernmeldeturm dient von nun an als ständiger Orientierungspunkt am Horizont. In seiner Nähe entspringen viele Bäche; es ist die Wasserscheide zwischen Neckar und Main. Gar nicht weit davon befindet sich auch der mit 626 Metern höchste Berg des Odenwalds, der Katzenbuckel.
Galmbach, oder besser gesagt, das was davon übriggeblieben ist, liegt keine fünf Kilometer entfernt von Reisenbach. Ein Hinweisschild sucht man allerdings vergebens. Unweit der Dorfkirche trägt eine Dorfstraße den Namen Eduardsthal, wie das letzte verbliebene Wohnhaus von Galmbach samt seiner zwei Wirtschaftsgebäude seither heißen. Wo die geteerte Straße endet, führt ein landwirtschaftlich genutzter Weg zunächst durch die Felder, um im Wald talabwärts (Markierung weißes RG 2) zu verschwinden. Es dauert keine halbe Stunde, bis auf einer Lichtung Reste einer Besiedlung auf sich aufmerksam machen. Links am Wegesrand lockt ein Bildstock das Auge auf dahinter liegende auffällig quadratisch angeordnete Wiesenflächen; wenige hundert Meter weiter säumen geradlinig verlaufende vermooste Steinreihen die Weideflächen.
Das Geheimnis darüber lüftet eine Gedenktafel, die in unmittelbarer Nähe des restaurierten Forsthauses steht. Die auffällig in rot und weiß gestrichenen Tür- und Fensterrahmen verraten, dass das geschindelte Haus, ebenso wie die folgenden beiden Scheunen, vom Verfall bewahrt worden sind. Links davon befindet sich ein Sandsteinbrunnen, der ebenso alt sein dürfte wie der in den Waldhang eigearbeitete Keller, über dessen Tür die Jahreszahl 1591 eingemeiselt wurde. In der Umgebung machen etliche in den Wiesen verstreute Grundsteinmauerreste und Haufen behauener Steine neugierig. Eine letzte Hausruine unweit des Forsthauses lässt ahnen, wie groß das Dorf gewesen sein mag. Überliefert ist, dass Galmbach im Jahr 1828 noch aus 19 Häusern bestanden hat, in denen 149 Einwohner lebten. Sechs Jahre lang hat das Fürstenhaus von Leiningen (Amorbach) Haus für Haus und Feld für Feld aufgekauft, um seinen Wildpark rund um das Schloss Waldleiningen zu vergrößern. Die letzten, verarmten Bewohner wurden zuvor zwangseinquartiert.
Zurück zum Reisenbacher Grund (mit dem Pkw): Die Wanderkarte 13 verrät mit zwei Eintragungen, wo sich südlich des Bachs Unterferdinandsdorf und weiter westlich Oberferdinandsdorf befunden haben. Der Name geht auf den Vornamen des Grafen von Wieser zurück, der um das Jahr 1720 die Armen aus der Waldgemarkung Zwingenberg in den beiden Ansiedlungen umquartieren ließ. Dort ging es ihnen noch schlechter. Der Zwangsauflösung gingen Missernten und Verelendung voraus. Die meisten der 47 abgeschobenen Ferdinandsdörfer verließen ihre Heimat Richtung Amerika. Es ist der Wanderweg R2, der sich teils steil in Serpentinen dem „Felsenhaus Steinerer Tisch“ nähert. Die Felsansammlung bildet nur den Höhepunkt eines von Sandsteinen aller Größen übersäten dichten Mischwalds. Sträucher, Farne und Moos haben Besitz von den Resten einstiger Häuser genommen, die schon auf den ersten Metern des Waldwegs die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Meist sind es nur noch Mauerumrisse, die in dem steilen Nordhang hängen. Dem Zahn der Zeit widersetzt hat sich auch ein Brunnenschacht. Etwa einhundert Jahre lang trieben Müller ihre Esel (daher der Name Eselspfad) auf dem unwegsamen Gelände bis zum steinernen Tisch hinauf. Von hier geht es über einen Forstweg wieder talwärts. Von Oberferdinandsdorf geblieben ist das Jagdschloss Max-Wilhelmshöhe, das als Forsthaus dient und von Fremden nicht betreten werden darf. Zurück zum Reisenbacher Grund geht es über den einstigen Ortsweg (RG1 und RG2) von Ferdinandsdorf, der den dichten Wald erst wieder am Ortsanfang hinter sich lässt. Zur Rast zwischen beiden Wanderungen empfiehlt sich eine Einkehr im Landgasthof „Zum Grund“.
Ein ähnliches Schicksal wie Galmbach und Ferdinandsdorf erlitten auch die einstigen Dörfer Dürr-Ellenbach im Überwald (Landkreis Bergstraße) und Rineck (Gemeinde Elztal bei Mosbach im Neckar-Odenwaldkreis).
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